Zulieferer: ZF tüftelt an Reichweitenverlängerung

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ZF

Wolfgang Gomoll
Wolfgang Gomoll
  —  Lesedauer 5 min

Der Zulieferer ZF stellt sich neu auf und hat einige interessante Innovationen im Köcher. Neben einer kompakten, konstant leistungsstarken E-Maschine soll ein neues Thermomanagement mit einer effizienten Wärmepumpe, die aktuelle Modelle in den Schatten stellen soll, für deutlich mehr Reichweite bei Elektromodellen sorgen – vor allem im Winter.

In der Automobilindustrie ist Transformation aktuell als eines der Modewörter schlechthin. Manchmal hat man den Eindruck, dass dieses Attribut schon angewendet wird, sobald ein paar neue Softwareentwickler eine neue grafische Oberfläche des Infotainments basteln. Der Zulieferer ZF durchläuft tatsächlich einen grundlegenden Wandel der Unternehmenskultur durch. Früher waren die Prozesse eindeutig definiert. Ein Autohersteller bestellte soundsoviele Bauteile über den Lebenszyklus einer Fahrzeuggeneration hinweg und die Friedrichshafener Firma lieferte pünktlich und in gleichbleibender Qualität. Dieses Geschäftsmodell funktioniert so nicht mehr. „Vor zehn Jahren waren 60 Prozent unseres Umsatzes mit dem Verbrennungsmotor verknüpft, heute sind es 27 Prozent. Computerchips sind die neuen Zahnräder von ZF“, erklärt der Vorstandsvorsitzende Dr. Holger Klein.

Die automobile Welt dreht sich jetzt anders – und immer schneller. Dementsprechend überhitzt und hektisch agiert die Branche auf dem Weg in die Elektromobilität. Die deutschen Autobauer verlieren scheinbar das Heft des Handelns, während die Konkurrenz aus Fernost zunehmend den Takt vorgibt. Die Shanghaier Automobilmesser vor ein paar Wochen hat jeden Besucher diesen Umstand nachdrücklich vor Augen geführt. Während die chinesischen Automobilhersteller eine beeindruckende Vielzahl an verschiedenen Fahrzeugmodellen präsentierten, stapfte der China-Statthalter eines großen deutschen Automobilherstellers mit einer Leichenbittermiene durch die weitläufigen Hallen.

Die Zulieferer müssen diesen Tanz mitmachen, ob sie wollen oder nicht. Eines ist jedoch gleich geblieben: Ihre Innovationen müssen Abnehmer finden. Eine ZF-Errungenschaft ist der aktuelle Elektromotor mit einer Spitzenleistung von 200 kW / 272 PS und einer Dauerleistung von 75 kW / 102 PS, die im Lotus Eletre ihren Dienst versieht. Doch das Bessere ist der Feind des Guten. Mit dem EVSys800 steht die nächste Generation der ZF-E-Maschine, die 2026 erscheinen soll, schon vor der Tür. Dann schafft der E-Motor eine Dauerleistung von 206 kW / 280 PS, maximal sind es 275 kW / 374 PS. Die im Vergleich zur aktuellen ZF-Antriebsgeneration deutlich kompaktere Antriebseinheit nutzt, wie die Bezeichnung schon verrät, die 800-Volt-Technik, was auch schnelles Laden ermöglicht, und besteht aus der Siliziumkarbid-Leistungselektronik, dem E-Motor sowie einem Reduziergetriebe. „Natürlich kann das Triebwerk auch runterskaliert oder auch in Nutzfahrzeugen verwendet werden“, erklärt Dr. Otmar Scharrer, Entwicklungschef der ZF-Elektromobilität.

Die einzelnen Komponenten des Antriebsmoduls warten mit Verbesserungen auf, die zeigen, dass die Entwicklung der Elektromaschinen noch lange nicht zu Ende ist. Das geht schon bei der Wickelung los, die eine Weiterentwicklung der sogenannten Wellenwicklung ist und zehn Prozent Kupfer spart. Die direkte Ölkühlung der Kupferstäbe ermögliche die größere Leistungsausbeute. Die Kraftübertragung erfolgt durch ein koaxiales Reduziergetriebe mit zwei Planetensätzen. Bei ersten Mitfahrten in einem Prototyp namens EVbeat, der mit den Antriebskomponenten bestückt war, machte die neue Technik einen guten Eindruck. Vor allem das geschmeidige, ruckelfreie Hochbeschleunigen hat uns gefallen.

„Wir glauben nicht, dass das Gros der Elektromotoren ein Schaltgetriebe braucht“, so Otmar Scharrer. Was wir nicht erproben konnten, war die Reproduzierbarkeit der Leistung, aber die ZF-Techniker schwören Stein und Bein, dass das kein Problem darstellt. Die neue E-Maschine ist nicht kleiner, sondern mit einem Gewicht von lediglich 74 Kilogramm rund 40 Kilogramm leichter als die aktuellen ZF-Elektromotoren. Interessant ist, dass der Generationenwechsel nicht abrupt vollzogen wird, sondern peu à peu. Die Einheiten sind modular aufgebaut und einzelne Komponenten werden im Laufe der Zeit durch die neuen Elemente ersetzt.

Mehr Reichweite dank neuer Wärmepumpe

Spannend ist, wie ZF eine Reichweitenverlängerung hinbekommt, ohne den Bauraum der Batterie zu vergrößern. Der konventionelle Weg wäre, die Speicherzellen mit höherer Energiedichte in die Akkus zu packen. Aber viele Ideen verkürzen den Weg nach Rom. ZF hat die Wärmepumpe im Visier, um mehr Kilometer aus den Batterien zu kitzeln. Im Grunde funktioniert eine Wärmepumpe umgekehrt wie eine Klimaanlage oder ein Kühlschrank. Der entzieht dem Innenraum die Wärme und gibt sie an die Umgebung ab und bei der Wärmepumpe ist es eben entgegengesetzt. Bei Stromern verdichtet der Kompressor das flüssige Kältemittel. So entsteht Wärme, die die entlangströmende kalte Luft erhitzt. Das Prinzip funktioniert bei geringen Temperaturen, aber auch im Sommer, um den Innenraum zu kühlen.

Bei Temperaturen von -20 Grad aber stößt dieses Prinzip so langsam an seine Grenzen, da die Effizienz nachlässt. Der Grund liegt in den Eigenschaften des verwendeten Betriebsstoffes R1234yf, der zudem vermutlich ohnehin bald verboten wird. Also pumpen die Friedrichshafener Ingenieure Propan in die Leitungen des neuen Thermomanagementsystems (TherMaS), das mit drei Kühlkreisläufen die temperaturkritischen Elemente des Elektroantriebs effizienter kühlt als bisher und daher mehr Power und Reichweite ermöglicht. „Das TherMaS ist die Zukunft“, ist sich Ottmar Scharrer sicher. Der Optimismus des Technikers ist nicht unbegründet, die Winter-Reichweitenangst soll bald der Vergangenheit angehören. Da das Propan bei -20 Grad in der Wärmepumpe eine Effizienz von 2,5 hat, wird die Reichweite erhöht. Auch bei Hitze zahlen sich die chemischen Vorteile des Propans aus. Im Schnitt seien es bei 500 Kilometern rund 50 Kilometer. Dass das Bauteil kompakter und leichter als bisherige Systeme ist, versteht sich von selbst.

Der Friedrichshafener Zulieferer verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz mit dem Motto „alles aus einer Hand“. Das fängt bei Radarsensoren an, die sowohl frontal als auch seitlich eingesetzt werden können und Fußgänger bis zu einer Distanz von 100 Metern identifiziert, über Konnektivitätslösungen bis hin zum automobilen Großhirn ZF ProAI, das in fünf Versionen erhältlich ist und den Weg zum autonomen Fahren ebnen soll. Die ZF-Produkte sind so gestaltet, dass sie in die meisten bestehenden Architekturen integriert werden können, also auch mit Aktuatoren anderer Hersteller oder Software-Cloudlösungen interagieren kann. Also tatsächlich eine echte Transformation.

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Wolfgang Gomoll

Wolfgang Gomoll

Wolfgang Gomoll beschäftigt sich mit dem Thema Elektromobilität und Elektroautos und verfasst für press:inform spannende Einblicke aus der E-Szene. Auf Elektroauto-News.net teilt er diese mit uns. Teils exklusiv!
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MMM:

Dann geht die Hälfte der Energie in die Innenraumheizung.
Je kürzer die Strecke ist, umso ausgeprägter wird das sein, da der Energieaufwand zur initialen Aufheizung des Innenraums ja völlig unabhängig von der gefahrenen Strecke ist.
Selbst wenn du nur 50 Meter fahren willst und das Auto dafür vorheizt, wird diese erste Hälfte des Stromverbrauchs bleiben.
Damit kann man – wenn man es darauf anlegt – den Winterverbrauch auf 100 km prinzipiell in jede Höhe treiben.
Angenommen, man hat einen Sommerverbrauch von 18 kWh, und einen Initialaufwand zum Aufheizen von 2 kWh pro Fahrt (nicht streckenbezogen!)
Fährt man im Sommer 10x 10 km/h, braucht man also 18 kWh.
Im Winter braucht man diese 18 kWh + (10x 2) 20 kWh = 38 kWh.

Auf langer Strecke ist es umgekehrt: da steht zwar der Initialaufwand in der Bilanz, ab dort kommt nur noch der Erhaltungsaufwand. Der ist deutlich geringer – ca. 1 kW pro Stunde (also wieder keine Abhängigkeit von der Entfernung!).
Wer in 1 Stunde 100 km fährt, braucht (siehe oben) 18 kWh für den Antrieb, und 2 kWh initial + 1 pro Std. für die WP, also 21 kWh.

Die Zahlen sind nur Beispiele, die das Prinzip verdeutlichen sollen.

Norbert Seebach:

Ich habe bei meinem E-Fahrzeug (Skoda Enyaq) bei Kurzfahrten unter winterlichen Bedingungen (nahe null Grad oder darunter) annähernd den doppelten (!) Sommerverbrauch – und das MIT Wärmepumpe. Ich bezweifle, dass die teure WP auch nur annähernd hält was versprochen wird, geschweige denn, dass die Mehrkosten sich jemals amortisieren.

Robert:

endlich auch mal gute Nachrichten aus Deutschland zur Elektromobilität

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