Das Null-Emissionen-Mandat der Europäischen Union, das erst vor zwei Jahren beschlossen wurde und vorsieht, dass ab 2035 alle Neuwagen emissionsfrei sein müssen, soll nun erneut überprüft werden. Sollte das so oft fälschlich bezeichnete “Verbrenner-Verbot” wieder gelockert werden, steht damit die nächste große Wendung in der Automobilpolitik an.
Einige der Ursachen und potenziellen Folgen dieser Entwicklung hat Julia Poliscanova in einem Gastbeitrag für Automotive News Europe beleuchtet. Sie ist Senior Director für Fahrzeuge und E-Mobilitäts-Lieferketten bei der Nichtregierungsorganisation Transport & Environment in Brüssel.
Was hat sich in den letzten beiden Jahren verändert, dass sich das EU-Mandat bereits jetzt von neuem behaupten muss? Die globalen Trends in Sachen Elektromobilität gehen derzeit in verschiedene Richtungen. Einerseits gebe es, so Poliscanova, das Bestreben der USA unter Trump, inländische Anreize und Unterstützungen für Elektroautos zurückzufahren. Damit hat Trump bereits viele Fortschritte seiner Vorgängerregierung unter Biden rückgängig gemacht.
Andererseits nimmt die Elektrifizierung, vor allem in China, rasant an Tempo zu. “Der weltweite Übergang zur Elektrifizierung hat nur an Tempo gewonnen. Jedes zweite Auto, das im vergangenen Jahr in China gekauft wurde, war ein Fahrzeug mit neuer Energie (Elektroauto und Plug-in-Hybrid), und in den meisten aufstrebenden Märkten Asiens und Lateinamerikas steigt der Absatz rapide an”, so Poliscanova. Außerdem seien nach der Stagnation 2024 auch die Verkäufe von Elektroautos in Europa wieder angestiegen, um fast 30 Prozent seit Anfang des Jahres. Dies liege auch daran, dass immer mehr erschwingliche Modelle auf den Markt kommen.
Auch über Europa, die USA und China hinaus verlieren europäische Hersteller globale Anteile. In vielen Schwellenländern finden mitunter rasante Entwicklungen statt, beispielsweise in Thailand. Dort stieg der Absatz von Elektroautos im vergangenen Jahr auf 12 Prozent.
Zugleich, um den Einfluss der chinesischen Hersteller auf ihre Märkte einzuschränken, werden weltweit Zölle erhoben. Neben den Importzöllen der EU auf Elektroautos aus China haben auch die USA ihre Zölle erhöht, die die gesamte Automobillieferkette und zusätzlich auch andere Länder betreffen.
Weitreichende Folgen der bisherigen Gesetze
Die bisherige Nachhaltigkeitspolitik der Europäischen Union hinsichtlich der Automobilindustrie hat bereits in den letzten Jahren Wirkung gezeigt. “Die Auswirkungen der CO2-Emissionsnormen der EU auf den Automarkt der Region sind kaum zu überschätzen”, so Poliscanova. “Das erste sinnvolle CO2-Ziel im Jahr 2020 führte zu einer Verdreifachung des Absatzes von Elektroautos innerhalb eines Jahres, wodurch Europa sogar China überholen konnte.” Außerdem werden immer mehr erschwingliche Elektroauto-Modelle auf den Markt gebracht.
Die Auswirkungen der Entscheidung für 2035 seien sogar noch folgenreicher. Viele Unternehmen, beispielsweise in der Batterieproduktion, haben sich offen dazu bekannt, dass sie vor allem aufgrund des Null-Emissionen-Mandats überhaupt in die EU investiert haben. Zunächst wurde also ein umfassender Ausbau der Batteriekapazität in Europa angekündigt, den die Batteriehersteller nun jedoch wieder in Frage stellen.
Entsprechend klar positioniert sich Poliscanova in ihrer Empfehlung an die Politik: “Die 2035-Verordnung ist die wichtigste Investitionspolitik der EU im Automobilsektor, um es deutlich zu sagen. Eine Bestandsaufnahme der Fortschritte ist zwar wichtig, aber eine Änderung der Ziele zehn Jahre vor der Zeit unter der Prämisse, dass sie jetzt nicht machbar sind, ist bestenfalls ein Trugschluss. Stattdessen sollte die Europäische Kommission die CO2-Ziele für 2030 und 2035 wie vereinbart beibehalten und sich auf die Bausteine konzentrieren, um sie zu erreichen.” Zu diesen Bausteinen gehört dabei nicht nur der Ausbau der Batterieproduktion, sondern auch eine verbesserte Ladeinfrastruktur. Außerdem sind nachhaltige Technologien wie das Batterierecycling nötig.
Fehlende Technologieneutralität?
Ein Hauptargument, das oft gegen das EU-Mandat vorgebracht wird, ist, dass die Verordnung nicht technologieneutral sei, da beispielsweise Plug-in-Hybride ausgeschlossen werden. Plug-in-Hybridautos dabei als nachhaltige Alternative zu bezeichnen, kritisiert Poliscanova. “Trotz einer beworbenen Gesamtreichweite von bis zu 900 Kilometern zeigt sich bei näherer Betrachtung eine rein elektrische Reichweite von weniger als 200 km. Der Rest der Reichweite wird nach wie vor durch einen unterdimensionierten Benzinmotor erzielt, sodass es sich um einen weitgehend fossilen Antriebsstrang handelt.” Sie können also nicht als emissionsfrei angesehen werden.
Zukunft der Mobilität nach wie vor elektrisch
Ob sich die EU für oder gegen eine Abschwächung des Null-Emissionen-Mandats entscheidet – Elektroautos werden in Zukunft weiterhin an Bedeutung gewinnen. Vor allem dem eigenen Markt dürfte es daher schaden, wenn sich die EU gegen den Fortschritt entscheidet: “Sie würde es den europäischen Autoherstellern ermöglichen, den Fuß vom Gas zu nehmen und Investitionen in Massenmarkt-Modelle von Elektroautos zu verzögern, die sie für den globalen Wettbewerb benötigen”, so Poliscanova. Um also eine weltweit wettbewerbsfähige Autoindustrie zu behalten, müsse die EU an der Null-Emissionsvorgabe für 2035 festhalten und solle sich entschieden gegen eine Lockerung wehren.
Quelle: Automotive News Europe – EU should stand firm against relaxing 2035 zero-emissions mandate