Verkehrssektor kann ohne Mehrkosten klimaneutral werden

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Michael Neißendorfer
Michael Neißendorfer
  —  Lesedauer 4 min

Deutschland kann im Verkehrssektor bis 2045 ohne Mehrkosten oder Einbußen in der Mobilität konsequent klimaneutral werden, wenn die Bundesregierung unverzüglich umfassende zusätzliche Maßnahmen ergreift. Das zeigt eine Studie des Thinktanks Agora Verkehrswende. Steuert die Politik erst im Jahr 2030 um, wären die gleichen Emissionseinsparungen dagegen nur mit Mehrkosten von rund 500 Milliarden Euro (plus 5 Prozent) möglich. Im Referenzszenario, das auf den bis heute beschlossenen Klimaschutzmaßnahmen fußt, würde Deutschland die Klimaziele im Verkehr verfehlen und bis 2045 Mehremissionen von rund 590 Millionen Tonnen CO2 im Verkehr verursachen.

Würde die Bundesregierung nach volkswirtschaftlicher Logik handeln, müsste sie beim Klimaschutz im Verkehr schnell alle Hebel in Bewegung setzen“, sagt Wiebke Zimmer, stellvertretende Direktorin von Agora Verkehrswende. „Das Ergebnis unserer Studie ist eindeutig. Politisches Zögern hat einen Preis“.

Dieser Preis bemisst sich „entweder in Geld oder in Treibhausgasen, mit all den damit verbundenen Risiken“, so Zimmer weiter. „Letztendlich geht es nicht nur um wirtschaftlichen Wohlstand, sondern auch um den verfassungs- und völkerrechtlich vereinbarten Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen. Anfangs braucht es höhere Investitionen in die Zukunft, in Summe aber nicht mehr Geld. Vor allem braucht es mehr politischen Willen.

Höhere Anfangsinvestitionen zahlen sich aus

Werden alle Ausgaben über die kommenden 20 Jahre aufsummiert, schneidet das unverzügliche Klimazielszenario sogar mit einer Einsparung von rund 60 Milliarden Euro leicht günstiger ab als das Referenzszenario. Die Studie, die das Wirtschaftsforschungsunternehmen Prognos im Auftrag von Agora Verkehrswende erarbeitet hat, vergleicht die volkswirtschaftlichen Ausgaben und Kosten für den Verkehr in Deutschland bis 2045 anhand von drei Szenarien. Das Referenzszenario basiert auf Projektionsberichten der Bundesregierung für die Wirkung der aktuellen Klimaschutzpolitik. In zwei Zielszenarien ergreift die Politik weitere Maßnahmen: In einem beginnt sie damit umgehend, im anderen erst 2030.

Beide Zielszenarien verursachen auf dem Weg zur Klimaneutralität im Verkehr gleich viele Gesamtemissionen und verfolgen dabei politisch die gleiche Grundstrategie: Umstieg von Verbrennungsmotoren auf elektrische Antriebe kombiniert mit Verlagerung von Straße auf Schiene und von Privat-Pkw auf Bus, Bahn, geteilte Fahrzeuge, Fahrrad und Fußverkehr. Beide zeichnen sich im Vergleich zum Referenzszenario auch dadurch aus, dass sie anfangs mit höheren Investitionen verbunden sind – insbesondere für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs und für die Anschaffung von E-Fahrzeugen.

“Entschlossener Klimaschutz rechnet sich langfristig”

Im zügigen Verkehrswendeszenario lassen sich dadurch aber schon ab den frühen 2030er Jahren finanzielle Einsparungen im Vergleich zum Referenzszenario erzielen. Mehr Energieeffizienz und Verkehrsverlagerung sorgen dafür, dass weniger Ausgaben für Straßenfahrzeuge, inklusive Wartung und Kraftstoffe, sowie für Straßeninfrastruktur erforderlich sind.

Entschlossener Klimaschutz rechnet sich langfristig, aber er braucht ein solides Finanzierungskonzept“, sagt Carl-Friedrich Elmer, Projektleiter Verkehrsökonomie bei Agora Verkehrswende. „Die Bundesregierung spielt eine entscheidende Rolle, um die höheren Anfangsinvestitionen möglich zu machen. Sie muss eine Lösung finden, wie die öffentliche Hand schnell, langfristig verlässlich und im erforderlichen Umfang in Klimaschutz investieren kann“. Zudem liege es an der Bundesregierung, günstige Rahmenbedingungen und geeignete Anreize für private Klimaschutzinvestitionen zu schaffen, wie Elmer erklärt: „Ein erster Schritt wäre eine am CO2-Ausstoß orientierte Reform der Steuern, Abgaben und Subventionen rund um den Pkw – von Kfz- und Dienstwagenbesteuerung bis zu CO2-Preis mit Klimageld und verursachergerechter Pkw-Maut.

Verkehrsverlagerung macht den Unterschied

Alle drei Szenarien ermöglichen die gleiche Transportleistung im Personen- und Güterverkehr und setzen dabei auf die Elektrifizierung der Antriebe. Die Zielszenarien erreichen darüber hinaus aber auch eine deutliche Verkehrsverlagerung. Während im Referenzszenario der Anteil des motorisierten Individualverkehrs im Personenverkehr mit fast 80 Prozent sehr hoch bleibt, geht dieser Anteil in den Zielszenarien bis 2045 auf unter 60 Prozent zurück. Dafür steigt der Anteil von Bus und Bahn auf fast ein Drittel.

Im Vergleich zum Referenzszenario ist die Leistung auf der Schiene fast doppelt, die von Bussen sogar dreimal so hoch. In den Zielszenarien fallen deshalb auch die Kosten für Personal im öffentlichen Verkehr deutlich höher aus. Digitale Lösungen wie selbstfahrende Busse und Bahnen wurden in der Studie nicht berücksichtigt, können aber perspektivisch Personalengpässe lösen und damit zusätzliche Kosten sparen.

Markante Unterschiede weist die Studie in der Entwicklung des Pkw-Bestands aus. Im Referenzszenario steigt die Zahl der Fahrzeuge von 47 Millionen (2019) auf 54 Millionen (2045). Davon werden 45 Millionen (83 Prozent) rein elektrisch sein. In den Zielszenarien sinkt die Zahl der Fahrzeuge bis 2045 wegen der Verkehrsverlagerung auf 38 Millionen. Im unverzüglichen Zielszenario sind davon 33 Millionen (87 Prozent) rein elektrisch; im verzögerten müssen praktisch alle Pkw 2045 batterieelektrisch sein, um die Mehremissionen aus den Vorjahren zu kompensieren. Dies ist nur mit der kostspieligen vorzeitigen Stilllegung von Verbrennerfahrzeugen möglich; zudem ist der Einsatz teurer synthetischer Kraftstoffe in größerem Umfang nötig. Daher sprechen die volkswirtschaftlichen Argumente deutlich gegen das verzögerte Zielszenario.

Die Studie berücksichtigt alle direkten Kosten des Verkehrssystems. Neben den Investitionskosten, etwa für Fahrzeuge, Tank- und Ladeinfrastruktur sowie Straßen und Schienen, gehören dazu auch die Betriebsausgaben, etwa für Personal, Antriebsenergie und Wartung. Außerdem bezieht die Studie mit ein, welche Klimaschäden durch politische Maßnahmen vermieden werden.

Weitere volkswirtschaftliche Vorteile der Zielszenarien, etwa durch Einsparung von Schadenskosten für Luftverschmutzung, Lärm oder Flächenverbrauch, wurden hingegen nicht einkalkuliert, weil dies deutlich komplexere und aufwändigere Methoden erfordert hätte. In einer umfassenderen volkswirtschaftlichen Bilanzierung würden die Zielszenarien also voraussichtlich noch besser abschneiden.

Quelle: Agora Verkehrswende – Pressemitteilung vom 13.05.2024

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Michael Neißendorfer

Michael Neißendorfer

Michael Neißendorfer ist E-Mobility-Journalist und hat stets das große Ganze im Blick: Darum schreibt er nicht nur über E-Autos, sondern auch andere Arten fossilfreier Mobilität sowie über Stromnetze, erneuerbare Energien und Nachhaltigkeit im Allgemeinen.
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Manfred Wojciechowski:

BIO-CNG ist bereits heute eine kostengünstige Möglichkeit auch mit einem Verbrennungsmotor klimaneutral zu sein. Die Produktion von BIO-CNG ist bereits heute wirtschaftlich möglich, ohne die Tank oder Teller-Diskussion auf Basis von landwirtschaftlichen Reststoffen oder anderem Abfall. Aktuell kostet ein Kilo BIO-CNG zwischen €1.20 und €1.70. Ein durchschnittlicher CNG-Verbrenner benötigt 3,5 kg BIO-CNG auf 100 km. Leider ist diese Möglichkeit politisch nicht gewollt und wird auch kaum in solchen Studien berücksichtigt.

Norbert Seebach:

Volkswirtschaftliche Logik und die Klientelpolitik der Lobbygruppe, die sich “FDP” nennt, schließen sich aus! Diese vollkommen regierungsunfähige Dilettantentruppe sorgt konsequent dafür, dass das umgesetzt wird, was vielen schadet und wenigen nützt! Dabei entblöden sie sich immer wieder nicht einmal, Maßnahmen abzulehnen, die sie zuvor mit beschlossen haben. Die von ihrem unfähigen, arbeitsverweigernden Verkehrsminister durchgesetzte Verabschiedung von den Sektorzielen hätte zwingend zu dessen Entlassung führen müssen. Statt dessen hat die gesamte Regierung damit ihre Glaubwürdigkeit in Sachen Klimaschutz verloren.

Daniel W.:

Für die Verkehrswende im Personen- und Güterverkehr müsste viel mehr Verkehr auf die Schiene verlagert werden.

Metallräder auf Schienen verursachen sehr wenig Rollwiderstand, zudem fahren die Waggons im Windschatten hintereinander und somit gibt es pro Waggon einen geringen Luftwiderstand, zusammen also einen geringen Energebedarf pro Waggon. Außerdem gibt es keinen Feinstaub durch Reifenabrieb.

Bei der Verkehrswende gibt es soviele Bremser aus Politik und Wirtschaft, dass hier wohl nur die große Keule der Klimakatastrophen helfen könnte.

Ich selber verzichte auf den großen Haufen Blech auf 4 Rädern vor der Haustüre, auf Flugreisen und Kreuzfahrten.

Rolando:

Tja, mit der FDP nie machbar auch wenn diese nach der nächsten Bundestagswahl mit der CxU koaliert.
Mit FDP, CxU, SPD, AFD heißt es „Mit Vollgas in den Abgrund“ wobei die Grünen es gemächlich tun.

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