Cariad-Software: Ein Problemkind des VW-Konzerns

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Porsche

Sebastian Henßler
Sebastian Henßler
  —  Lesedauer 4 min

Ende April präsentierten Oliver Blume und Gernot Döllner auf der Autoshow in Peking die Zukunft des Volkswagen-Konzerns. Blume, der sowohl Porsche als auch den gesamten Volkswagen-Konzern leitet, stellte den elektrischen Porsche Macan vor. Dieses SUV, das ursprünglich vor drei Jahren auf den Markt kommen sollte, wird nun Ende 2024 verfügbar sein. Audi-Chef Döllner zeigte eine spezielle Chinaversion des elektrischen Q6, die ebenfalls mit Verzögerung erscheint und von den Händlern sehnsüchtig erwartet wird. Ausschlaggebend für die Verschiebung beider Modelle: die Software.

Es verwundert daher nicht, dass hinter den Kulissen große Unzufriedenheit herrscht, wie das Manager-Magazin berichtet. Die Führungskräfte von Volkswagen hatten sich fast vollständig nach Peking begeben, um bei einer Konzernabnahmefahrt neue Modelle zu testen und mit der Konkurrenz zu vergleichen. Blumes Reaktion auf den neuen Audi Q6 e-tron war ernüchternd. Ein Teilnehmer bezeichnete Blumes Urteil als „Katastrophe“. Der Elektro-Q6 schnitt in Blumes Bewertung besonders schlecht ab.

Hierbei war es demnach vor allem die Software, die Probleme bereitete. So sollen einigen Teilnehmern zufolge die Anzeigen auf Displays teilweise nicht funktioniert haben. Andere Funktionen waren für Blume und den Rest der Führungsriege hingegen gar nicht bewertbar. Die ständigen Verzögerungen bei Software und Elektronik stellen ein großes Hindernis dar. Serien von Modellen verschieben sich, weil die Softwarearchitekturen nicht rechtzeitig fertig werden. Und wenn sie fertig werden, anscheinend nicht komplett und fehlerhaft.

Der Porsche Macan, der Audi Q6 e-tron, der VW ID.7 und der neue VW Tiguan – alle waren oder sind verspätet. Dies wirkt sich negativ auf den Handel aus, und die schwachen Ergebnisse von Audi und Porsche im ersten Quartal sind nur der Anfang.

Das Problem hat einen Namen: Cariad

Das Problem hat VW-intern einen Namen: Cariad. Peter Bosch, der neue Leiter von Cariad, steht seit Übernahme seiner Aufgabe vor einer ebenso gewaltigen wie kniffligen Aufgabe, die Einheit zu sanieren und gleichzeitig drastische Kostensenkungen zu erreichen. Die größte Herausforderung ist die Software- und Elektronikarchitektur E3 1.2, die für Porsche und Audi konzipiert wurde. Cariad hätte diese Architektur Ende 2021 fertigstellen sollen, aber nun sollen die ersten Kunden ihre Autos erst Ende 2024 erhalten. Besonders betroffen ist der Audi Q6L in China, der mit einer anderen Softwareversion und zusätzlichen Assistenzsystemen ausgestattet ist. Trotz eines neuen und besseren Clusters hinken die Algorithmen etwa ein halbes Jahr hinterher.

Audi trifft die Verzögerung besonders stark. Auch am eigenen Geldbeutel. Denn das neue Werk in Changchun für Elektromodelle, das jährlich 150.000 Autos produzieren soll, wurde bereits mit 2,6 Milliarden Euro finanziert. Die Produktion soll Ende des Jahres beginnen. Ein Insider meinte, man könne nur sehr langsam starten und zunächst für den Parkplatz produzieren, um die Software später zu installieren. Dies könnte jedoch bis Ende 2025 dauern.

Die Probleme bei Cariad haben eine Kettenreaktion im gesamten Konzern ausgelöst. Die Arbeit an der neuen Elektronikarchitektur E3 1.1 für VW, Škoda und Cupra verschlang so viel Zeit, dass die Version 1.2 für Audi und Porsche zu spät kam. Verzögerungen bei der Entwicklung von 1.2 haben die Arbeit an der geplanten Wundersoftware 2.0 bis heute verzögert. Ein Beteiligter meinte: „Die Cariad-Probleme werden immer gefährlicher.“

Porsche arbeitet inzwischen an einer eigenen Lösung, um sich von der Cariad-Software unabhängig zu machen. Der von Blume in Peking vorgestellte Macan nutzt daher eine andere Software als der Audi Q6L. Betroffen sind hierbei nicht nur die E-Modelle der Marken, sondern beispielsweise auch Audis neuster Verbrenner, der Q3.

VW-Markenchef Thomas Schäfer verzichtet bei einigen Modellen auf das neue Infotainmentsystem und setzt auf die alte Version. Dies führt zu weiteren Verzögerungen bei den Markteinführungen. Elektrische Luxusmodelle wie Bentleys Landjet und Audis Landyacht, die eigentlich ab 2025 auf den Markt kommen sollten, sind bereits auf 2028 verschoben worden. Eine Besserung ist nicht in Sicht. Die Diskussionen über zukünftige Elektronikversionen halten an.

Ohne funktionierende Software kann keine der Marken im Volkswagen-Konzern Erfolg haben. Audi bangt bereits kurz nach Präsentation um sein neues Elektroflaggschiff Q6. Die Nachfrage in Europa ist bisher gering. Döllner nahm die Testergebnisse in China ernst und schickte einige Verantwortliche vorzeitig nach Hause, um sich auf die anstehenden Aufgaben zu konzentrieren.

Quelle: Manager-Magazin – Neuer Softwareärger bei Audi, VW und Porsche

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Sebastian Henßler

Sebastian Henßler

Sebastian Henßler hat Elektroauto-News.net im Juni 2016 übernommen und veröffentlicht seitdem interessante Nachrichten und Hintergrundberichte rund um die Elektromobilität. Vor allem stehen hierbei batterieelektrische PKW im Fokus, aber auch andere alternative Antriebe werden betrachtet.
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MiMaTu:

Naja, wie überall im Projektgeschäft, wenn Manager schon Releases verkünden obwohl sie selbst nicht in der Lage sind alle Anforderungen zu liefern… Dann wird halt entwickelt (mit ständig wechselnden Konzepten) und man man wundert sich warum man immer wieder korrigieren muss. Manche nennen das auch schon agil, aber oft ist das immer wieder nur von links nach rechts schieben und dann wieder zurück….

VW will halt die Quadratur des Kreises ohne dass man die Komplexität verstanden hat…. joah…. das braucht dann halt jahre zum lernen…. aber keine Angst, es gibt viele Firmen die agieren genauso….

Als Dienstleister wundert man sich dann schon, wie solche Firmen eigentlich so lange am Markt existieren können… kleine Firmen wären bei solchem vorgehen schon Pleite….

MiMaTu:

Naja stimmt ja so nicht ganz. Bisher wurde die SW bei den Zulieferern entwickelt. Mussten diese auf EIGENE Kosten stemmen. Mit Tesla haben ganz schlaue VW Manager erkannt, das SW doch wichtig sein könnte, und das es absolute kein Problem ist mit viel Geld bei 0 mal schnell das nachzuholen, was andere schon Jahrzehnte machen….
Somit wird da jetzt doch einige Zulieferer schmunzelnd auf den Anruf aus Wolfsburg warten….

Steffen:

genau so ist es – der Artikel ist viel zu oberflächlich und beschreibt nicht im geringsten wo die Probleme tatsächlich verankert sind. Hierfür müsste man sich tiefer mit dem Zusammenspiel von Ablauforganisationen, der angestrebten Gesamtarchitektur aller Platformen für alle Marken der VW Group sowie der Transformation weg von einem klassischen Automotive OEM hin zu einer Software defined Organisation beschäftigen. im 8. größten Konzern der Welt ist das nämlich alles andere als trivial.

Max:

Die Idee einer zentralen Softwarearchitektur für die gesamte VW-Gruppe kam auf hoher Ebene gut an. “Synergieeffekte” da war jeder mit dabei. So ein Mega IT Projkt bringt die Entwicklungsgeschwindigkeit jedoch zum erliegen und die Softwarenqualität sinkt enorm.

Die Problme sind vielfältig: Es müssen die Anforderungen von diversen Fahrzeugherstellern der VW Gruppe berücksichtigt werden. Jeder will mitreden Manager, Ux-Berater, Designer, Productowner und Entwickler und etliche mehr. So kommt es zu diversen Kurswechseln, Verlust des Arbeitsfokusses, Aufsplittung der Arbeitskraft auf diverse Grüppchen, die sich um nichtige features kümmern, ewig lange meetings, Verzögerungen durch Aufsplittung von Zuständigkeiten, Vorurteile, subtile Kleinkriege, alle sind Vorsichtig, doppelte Arbeit, eingestampfte Projekte in die tausende Mannstunden eingegangen sind und extrem viel Druck etc. Tja und nach 35 Stunden ist kaum etwas geschafft und die Arbeitswoche auch schon wieder rum.

Der Frust innerhalb der Entwicklerteams muss extrem hoch sein.
Jeder Hersteller hat seine speziellen Funktionsmodule. Wenn man einen Bug fixt, entstehen zwei neue Bugs bei Modulen anderer Fahrzeugtypen oder Marken. Nichts funktioniert, alles dauert ewig. Dann stellt sich eine Egalomentalität ein – das Ergebnis ist, dass die guten Mitarbeiter gehen und die mäßigen bis schlechen Mitarbeiter bleiben. Know how fliest ab und es wird mit Trial and Error weiter gemacht. Schlimmer als in einer Behörde.

Ich denke VW wäre gut beraten, den Cariad Ansatz in die Tonne zu drücken und den Proscheweg zu gehen: Jeder Hersteller baut seine eigene Software mit kleinen agilen IT Teams. Klar damit entsteht erst recht doppelte Abreit aber man verzettelt sich nicht so schnell, das Entwicklungstempo ist sehr viel höher, das Ziel ist klar, dann macht es wieder Spaß und dann kommen auch die guten Mitarbeiter wieder.

Dr. Kralle:

Vor allem wird das Problem nicht nur bei Cariad sein, sondern mit Sicherheit ein Bild der Gesamtorganisation. Lange Zeit – zu lange – hat man sich nicht um Technologie in den Automobilen gekümmert. Und jetzt muss von heute auf morgen alles neu gemacht werden. Als ITler kenne ich solche Situationen zu genüge. Es liegt dabei meistens nicht an den Softwareentwicklern.

Tom:

Man macht sich das Leben zu leicht, wenn man CARIAD als einzigen Sündenbock sieht.
Das junge Unternehmen sollte schon direkt nach ihrer Gründung drei technisch völlig unterschiedliche Softwarestränge (E³ 1.1, 1.2 und 2.0) bedienen, aus denen ein ganzer Blumenstrauß von Fahrzeugen im ganzen Konzern gespeist werden sollte. Anstatt aber nun wenigstens Fahrzeug-Architekturen, Steuergeräte-Varianten und Anforderungen marken-übergreifend zu vereinheitlichen, um die enorme Komplexität dieses Vorhabens irgendwie zu handlen, kamen alle Marken mit ihren Extrawürsten daher, um ihre eigenen Sonderlösungen und Vorstellungen durchzudrücken.
Allen voran der Porsche-Konzern, der sich nun von allen Marken am meisten über CARIAD echauffiert, obwohl er selbst einen erheblichen Teil des Gesamtproblems darstellt.
Das das so nix werden kann, hätte man eigentlich schon 2021 sehen können, wenn man gewollt hätte.

Heinr:

Wenn das Management Zeitpläne macht die mit dem Personalstand nicht zu realisieren sind, passiert so etwas. Aber man sollte dann auch das Management austauschen statt auf die Softwareentwickler zu schimpfen.

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