Mut haben sie bei Xpeng, das muss man ihnen lassen. Gerade mal vier Jahre nach dem Start im europäischen E-Auto-Mutterland Norwegen und Ablegern in Schweden, Dänemark und den Niederlanden legt sich der chinesische E-Auto-Hersteller mit den ganz Großen an. Stets hatte Firmenchef He Xiaopeng den selbst erwählten Konkurrenten Tesla im Blick, seit vergangenem Jahr kommen auch diejenigen dazu, die im Wappen Stern, Ringe oder Weiß-Blau tragen.
Punkten will Xpeng vorrangig mit modernster Software-Architektur, aber eben auch mit Design, ordentlich Akku-Power und Qualität. Anders als viele Konkurrenten aus China genießt Xpeng nämlich nicht die Privilegien eines Staatskonzerns, sondern muss sich als Aktiengesellschaft an den Börsen von Honkong und New York behaupten.

Noch ist das Angebot mit drei Modellen überschaubar. Ganz oben findet sich, fast schon selbstverständlich, ein SUV: das knapp fünf Meter lange Flaggschiff G9. Wuchtig, standesgemäß mit 800-Volt-Technik und auch sonst mit fast allem Schnick und Schnack. Bemerkenswert: Kaum etwas davon kostet Aufpreis. In diesem Segment eher die Ausnahme. Und Platz ist – vorne wie hinten – bei drei Metern Radstand ohnehin Serie. Wer lieber Ladung befördert als Leute: Mit umgeklappten Sitzen wächst das Gepäckabteil von 660 auf 1576 Liter.

Statt Hartplastik findet sich jede Menge Umschäumtes, Bespanntes und Gestepptes. Auch nach unsauberen Spaltmaßen sucht man vergebens. Sehr viel einladender bekommt man es auch von Deutschlands Premium-Produzenten nicht. Sicherer übrigens ebenso wenig. Serienmäßig wacht eine Armada an Assistenz über das Wohl der Insassen, wahrt Tempo, Spur und Abstand, späht in tote Winkel, assistiert im Stau und bremst im Notfall selbstverständlich auch. Lediglich ein Head-up-Display sucht man vergebens. Dafür gibt’s ab Werk einen separaten 15-Zoll-Bildschirm für die Beifahrerseite. Das ist dann schon großes Kino.
Xpeng G9: Viel Auto, viel Technik, wenig Aufpreis
Höchst aufgeräumt zeigt sich der Kommandostand. Was alles sensationell dezent aussieht, aber selbst bei einfachen Dingen den Touchscreen erfordert. Das kann man mögen – muss man aber nicht. Die Luftströme dort per Finger zu dirigieren, verleiht einem vielleicht die Erhabenheit des Windgottes Aiolos – ein ganz irdisch verschiebbares Gitter täte es aber womöglich auch. Wie man munkelt, könnte die anstehende Modellpflege da Abhilfe schaffen. Am besten behilft man sich ohnehin mit Sprachsteuerung. Wer nicht starrt und wischt, hat Augen und Hände frei für das, was beim Autofahren wirklich wichtig ist.

Wie es sich für ein Flaggschiff gehört, haben die Chinesen den G9 mit 800 Volt auf Kiel gelegt. Die Versionen „Standard“ (LFP-Batterie mit 75,8 kWh netto und 460 Kilometern Reichweite) sowie „Long Range“ (NCM-Batterie mit 93 kWh und 570 Kilometern) werkeln am Heck mit 230 kW (313 PS), das Modell „Performance“ – ebenfalls mit großem Akku – wartet hier neben Allradantrieb und 405 kW (550 PS) mit serienmäßiger Luftfederung und einem Standard-Spurt in 3,9 Sekunden auf. Der Radius liegt bei maximal 520 Kilometern. Selbstverständlich nur dann, wenn man dem Reiz der Geschwindigkeit nicht allzu oft erliegt. Die ist für alle Modelle auf 200 km/h limitiert.
Trotz seiner bis zu 2,36 Tonnen Leergewicht legt der G9 auch in Kurven einen souveränen Auftritt hin. Nicht ohne Grund lässt Xpeng seine Fahrwerke bei einem deutschen Sportwagenbauer abstimmen. Selbstverständlich drängt Gewicht bei zügiger Bogenfahrt selbst auf 21-Zöllern unwiderstehlich Richtung Tangente, aber Kurvenhatz ist auch nicht die Kernkompetenz eines großen SUV. Besser man ergibt sich den gut konturierten Sitzen, die auf Wunsch sogar massieren, und genießt die Fahrt bestens gedämmt gegen all den Lärm von draußen.

Gegen den von innen muss man selbst Hand anlegen. Die geballte Assistenz würde sonst für ordentlich Aufruhr sorgen. Kurzes Gähnen, zu nah an einer Linie – schon piepst, bimmelt und pfeift es aus allen Richtungen. Gute Nachricht für alle, denen häufiger Warndrang auf den Wecker geht: Nach einer kleinen Tour durchs Menü herrscht Ruhe. Allerdings nur, bis man das nächste Mal absperrt.
Ein Lob verdient die exakte Anzeige der Restreichweite. Und ja, man kann den großen Xpeng auch ohne Schleichfahrt nahe am offiziellen Verbrauchswert von 19,4 kWh je 100 Kilometer bewegen (Allrad: 21,3 kWh). So oder so ist aber irgendwann der Saft alle. Am Schnelllader zieht der G9 mit 300 kW. Heißt: Von zehn auf 80 Prozent vergehen gerade mal 20 Minuten.
An der Wallbox indes lädt er mit lediglich 11 kW, was im schlimmsten Fall fast einen halben Tag Ladedauer bedeutet. Das kann die Konkurrenz nicht selten doppelt so gut. Immerhin: Auch die Wärmepumpe ist serienmäßig. Und wer bei China und Qualität immer noch ein bisschen Bedenken trägt: Xpeng gewährt sieben Jahre Garantie (maximal 160.000 Kilometer) auf das Auto und acht Jahre auf die Batterie.

Das alles hat selbstredend seinen Preis. Zwischen 59.600 Euro und 71.600 Euro ruft Xpeng für den G9 auf. An Zubehör finden sich dann aber nur noch das Premium-Paket (3960 Euro) mit zigfach verstellbaren Nappa-Sitzen samt Massagefunktion, Sound-System und einem LED-Schminkspiegel sowie eine Anhängerkupplung (1,5 Tonnen) für 1260 Euro. Da muss die Konkurrenz schon schauen, wo sie bleibt. Und wem knappe fünf Meter womöglich zu wuchtig sind: Ergänzend zum 15 Zentimeter kürzeren Coupé-SUV G6 kündigen die Chinesen fürs kommende Jahr einen nochmals kleinen Crossover an. Die Offensive aus dem Reich der Mitte hält also an.