Mercedes’ E-Auto-Pläne: Mehr Effizienz, mehr Reichweite

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Mercedes-Benz

Wolfgang Plank
Wolfgang Plank
  —  Lesedauer 5 min

Ein bisschen geärgert haben dürfte es sie schon in Stuttgart. Während schon zu Beginn der E-Auto-Ära die Zuffenhäuser Premium-Nachbarn mit 800 Volt und Übersetzung starteten, stromerten die Batterie-Benze über die Jahre nur mit halber Spannung – und also mit Durchschnittstechnik. Selbst koreanische Kompaktwagen waren mittlerweile moderner unterwegs. Klar, 800 Volt sind aufwändig, dafür sind die Kabel dünner, besser zu verlegen, bis zu 30 Kilo leichter – und schneller laden kann man damit auch.

Wenn sie aber eines nicht sein wollen in Stuttgart-Untertürkheim, dann Durchschnitt. Schließlich nehmen sie das mit dem Stern nur allzu gerne wörtlich. Jedenfalls dann, wenn es um Strahlkraft geht und darum, anderen den Weg zu weisen. Über die Jahrzehnte des Verbrennungsmotors hat das oft genug funktioniert. Seit einiger Zeit aber gelten andere Maßstäbe: Reichweite, Ladetempo, Akku-Management.

Es gilt also aufzuholen – und darum wollen sie wollen sie jetzt klotzen. „Die Zukunft für Mercedes-Benz ist klar elektrisch“, sagt Torsten Eder, im Unternehmen verantwortlich für die Entwicklung von E-Antrieben. Mit Erfahrung aus mehr als 100 Jahren wollen er und sein Team die Zukunft gestalten. Und Eder macht deutlich, mit welchem Anspruch. „Ich sehe uns an der Spitze des Wandels“, sagt er – und auch, wohin die Reise gehen soll: „Effizienz ist die neue Währung.“

Die Idee leiten sie bei Mercedes vom Vision EQXX ab. Der kompromisslos auf Aerodynamik getrimmte Silberpfeil kam bei diversen Testfahrten mit einer Akku-Ladung jeweils mehr als 1000 Kilometer weit. Der Durchschnittsverbrauch auf 100 Kilometer lag bei 7,4 kWh, das entspricht umgerechnet 0,9 Liter Sprit. So etwas wie das Ein-Liter-Auto gibt es also auch im Zeitalter der E-Mobilität. Einen Rekord hält der Extrem-Stromer obendrein: Auf dem Testgelände im italienischen Nardò absolvierte der Mercedes CLA mit 40 Ladestopps in 24 Stunden exakt 3717 Kilometer.

320 kW Ladeleistung für Mercedes CLA

Diesem Musterbeispiel schwäbischer Sparsamkeit fühlt sich Mercedes gleich doppelt verpflichtet: Für mehr Energie-Effizienz wird Mercedes als erster Hersteller ein Zwei-Gang-Getriebe in der Kompaktklasse verbauen – und für mehr Zeit-Effizienz kann bei 320 kW Ladeleistung in zehn Minuten Strom für 300 Kilometer gezapft werden. Viel länger dauert ein Sprit-Stopp samt Kaffee auch nicht. Das Ganze selbstverständlich kombiniert mit bekannten Größen wie vorausschauendes Fahren, Vorkonditionierung der Batterie und einer Routenplanung aus optimalen Ladepunkten. Premiere feiert das Paket Anfang kommenden Jahres im Mercedes CLA.

Zur neuen MMA-Plattform gehört obendrein eine komplett eigenentwickelte 200-kW-Antriebseinheit an der Hinterachse – mit Siliziumkarbid im Inverter und einem Anteil von Seltenen Erden nahe Null. Und weil sie keine halben Sachen machen wollten, haben sie sich für eine permanenterregte Synchronmaschine entschieden, für rechteckige Kupferstäbe statt rundem Draht und eine doppelte Wicklung. Natürlich hätte es preiswerte Varianten gegeben, aber das wäre halt gekleckert gewesen.

Bei den normalen Modellen arbeitet diese Einheit alleine, bei Allrad-Modellen kommt an die Vorderachse zusätzlich ein PSM-Aggragat mit 80 kW hinzu. Eine Kupplung schaltet den Frontmotor samt Getriebe innerhalb von 0,2 Sekunden zu und weg. Treibt der Elektro-Benz bloß hinten, entfallen 90 Prozent des Schleppmoments an der Vorderachse. Es gibt quasi keinen Nachteil mehr bei Allrad-Betrieb. Im Alltag wird ein solcher Wagen mit Kraft an beiden Achsen starten, um Schlupf zu vermeiden und ziemlich schnell auf Heckantrieb umschalten. Sogar Segeln mit zwei stromlosen Motoren ist möglich. Und per Rekuperation sollen 99 Prozent der Bremsenergie wieder eingesammelt werden. „Wir wollen kein Watt liegenlassen“, so das Credo.

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Und doch ist die Technik nur die halbe Miete. Auch an der Batterie haben die Benz-Ingenieure gearbeitet. Zur Wahl stehen künftig auf identischem Bauraum ein Performance-Akku (Nickel-Mangan-Kobalt) mit 85 kWh und ein preiswerterer, aber eben auch schwächerer Lithium-Eisenphosphat-Speicher mit 58 kWh. Vielfalt kommt damit nicht nur über die Größe der Batterie, sondern auch über die Zellen.

„Wichtig ist, dass wir die Chemie verstehen, um die richtigen Schlüsse zu ziehen“, sagt Uwe Keller, verantwortlich für die Batterie-Entwicklung. Erfahrung mit Plus und Minus hat das Unternehmen seit 1970 – und mittlerweile Kompetenz bei 48 Volt, Plug-in-Modellen, Stromspeichern, Zellen und selbst entwickelter Software. Es tut sich reichlich im Electric Software Hub in Sindelfingen. Aktuell setzten sie dort noch auf Silizium-Anoden, doch am Horizont glauben auch sie schon die Festkörper-Batterie zu sehen – den „Heiligen Gral“ der E-Mobilität.

Vorerst gibt es ein tägliches Tarieren zwischen Form, Reichweite, Leistung, Ladetempo, Gewicht und Kosten. Eine Art „Zehnkampf“, wie Keller die Tüftelei an den Batterien nennt. Alles hängt irgendwie mit allem zusammen. Unverhandelbar seien allein Nachhaltigkeit, Zuverlässigkeit und Sicherheit, sagt der Chefentwickler. Deswegen treibe Mercedes auch so viel Forschung und kaufe nicht einfach nur von Lieferanten zu. Sichtbarer Erfolg: Der Speicher für die MMA-Plattform hat 30 Prozent weniger Volumen als der Vorgänger und ist 30 Prozent billiger.

Lange bevor im sächsischen Kamenz die Akkus gebaut werden, haben sich kluge Köpfe Gedanken gemacht über das Design der Batterie, welche Ressourcen gebraucht werden und woher, dass möglichst umweltfreundlich produziert wird, wie ein Leben nach dem Auto aussieht – und was ganz am Ende das Recycling bringt. Im baden-württembergischen Kuppenheim können aktuell 96 Prozent der Materialien wiederverwertet werden. Auch hier gibt es eine Vision: eine frische Zelle rein aus Recyclaten.

Für MMA-Plattform gilt “Electric first”

Noch aber gibt es genügend Kunden, die pure E-Mobilität so gar nicht spannend finden. Für die hat Mercedes eine Hybrid-Version mit 48 Volt entwickelt. Einem neu entwickelten Vierzylinder-Turbo mit 1,6 Litern Hubraum und – je nach Ausführung – 136, 163 und 190 PS drückt ein E-Motor zusätzliche 20 kW (27 PS) ins achtstufige Doppelkupplungsgetriebe. Der Strom kommt aus einer 1,3-kWh-Batterie unter dem Beifahrersitz. Geladen wird rein über Rekuperation. Die funktioniert – wie auch die kurzzeitig rein elektrische Fahrt – in allen Gängen.

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Trotzdem: Auf der MMA-Plattform gilt „Electric First“. Soll heißen: Vorrang bei allem hat der Stromer, Verbrenner-Derivate müssen sich diesen Vorgaben fügen. Das gilt auch für einen Shooting Brake und zwei SUV, die auf dieser Basis demnächst entstehen sollen. Auch in Sachen Modellvielfalt steigt also die Spannung.

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Wolfgang Plank

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Wolfgang Plank ist freier Journalist und hat ein Faible für Autos, Politik und Motorsport. Tauscht deshalb den Platz am Schreibtisch gerne mal mit dem Schalensitz im Rallyeauto.
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Frank2:

Die Kupplung für die Vorderachse gab es auch schon für die AWD Modelle des EQE und EQS – ich glaube das war nicht so schwierig dass Mercedes da bei den Koreanern spionieren musste ;-)

Michael Neißendorfer:

Bitte beachten: Es ist nicht davon die Rede, dass der E-Motor an der Hinterachse “ohne” seltene Erden auskommt. Es ist von einem Anteil “nahe Null” die Rede. Der Hersteller selbst teilt mit: “Der PSM weist einen deutlich geringeren Anteil – nahezu null Prozent – an schweren Seltenen Erden auf als frühere Motor-Generationen.” Der Autor hat das Antriebskonzept also durchaus verstanden, der Kommentator den Text wohl leider missverstanden. Schöne Grüße, Michael

Helmut L.:

Zitat: “Zur neuen MMA-Plattform gehört obendrein eine komplett eigenentwickelte 200-kW-Antriebseinheit an der Hinterachse – mit Siliziumkarbid im Inverter und einem Anteil von Seltenen Erden nahe Null. Und weil sie keine halben Sachen machen wollten, haben sie sich für eine permanenterregte Synchronmaschine entschieden, für rechteckige Kupferstäbe statt rundem Draht und eine doppelte Wicklung.”
Eine Maschine ohne seltene Erden (= Dauermagnete) ist nur als “fremderregte Synchronmaschine” möglich. Das widerspricht der Aussage “permanenterregte Synchronmaschine”.
Dieser Widerspruch lässt sich nur so auflösen: Hinten ist eine fremderregte Maschine verbaut und vorne eine permanenterregte (PSM), diese notwendigerweise mit seltenen Erden. Da eine PSM im abgeschalteten Zustand durch das Einrasten der Dauermagneten ein Bremsmoment hat, ist es sinnvoll, diese bei ausschließlich Hinterradantrieb mit einer mechanischen Kupplung abzutrennen.
Nur, was ist an diesem Konzept neu? Es ist schon lange Bei Hyundai/KIA genau so etabliert. Mercedes hat also bei den Koreanern abgeschaut.
Schade, dass der Autor das Antriebskonzept offensichtlich nicht ganz verstanden hat.

Smartino:

“Vorerst gibt es ein tägliches Tarieren zwischen Form, Reichweite, Leistung, Ladetempo, Gewicht und Kosten”

Da bin ich aber gespannt, was die reine e-Variante unter der relativ langen Haube alles transportiert, denn ein E-Motor braucht nie und nimmer soviel Raum.
Schade, dieser verschwendete Platz könnte den Innen- und den Kofferraum und damit den Komfort und die Bequemlichkeit vergrössern.

Vermutlich ist das ein unseliger Kompromiss, welcher von der multifunktionalen MMA-Plattform erzwungen wird, denn bei der Hybridvariante muss ja noch der Verbrenner mit dem DKG und dem weiteren Kram hineingequetscht werden.
Ich würde mich nicht wundern, wenn bei der e-Varante wie in guten alten Zeiten sogar ein Kardantunnel den Innenraum unnötig einschränken würde.

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